Jahrestagung der Gesellschaft für Namenforschung 2025

Namen im Kontext

Soziopragmatische Aspekte des Gebrauchs von Eigennamen
Jahrestagung der Gesellschaft für Namenforschung (GfN), 2.–4. April 2025, Archivzentrum, Uppsala (Schweden)

Organisation: Michael Prinz und Daniel Solling

Obwohl die soziale Dimension des Namengebrauchs seit langem bekannt ist, standen in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Eigennamen lange Zeit deren Genese, ihr Wert als Sprachzeugnisse und ihr lexikologischer Sonderstatus im Vordergrund. Erst ab den 70er Jahren wurden verstärkt auch soziale, pragmatische und interaktionale Kontexte des Namengebrauchs untersucht (z.B. Walther 1971, Dobnig-Jülch 1977, Sacks/Schegloff 1979). Im Zuge dieser „Rekontextualisierung“ des Eigennamens entstanden spezialisierte Disziplinen wie die Sozioonomastik, deren Forschungsfeld üblicherweise an der Schnittstelle zwischen Soziolinguistik und Onomastik verortet wird (vgl. etwa Akselberg 2012: 108f.). Das Verhältnis zu den beiden Referenzdisziplinen erscheint dabei jedoch nicht als balanciert, da Sozioonomastik in der Regel in determinativer Lesart (als onomastische Teildisziplin) verstanden wird. Versuche, darunter die soziolinguistische Untersuchung von Eigennamen zu fassen, werden von den forschungspraktischen Realitäten nicht gestützt: Während entsprechende Inhalte in onomastischen Diskussionszusammenhängen mittlerweile als etabliert gelten dürfen, werden Eigennamen in soziolinguistischen Einführungen und Handbüchern nicht oder allenfalls marginal thematisiert (vgl. Heer 2024: 15f.). Unscharf bleibt zudem das Verhältnis zur Pragmatik, da sozioonomastische Publikationen regelmäßig pragmatische Inhalte en passant mitbehandeln (z.B. Ainiala/Östman 2017). Dabei wird ein dezidiert soziopragmatisches Verständnis von Pragmatik vorausgesetzt, das ganz wesentlich auch den sozialen Kontext der Sprachverwendung miteinbezieht (dazu Jucker 2018: 132).

Die Tagung in Uppsala möchte vor diesem Hintergrund „Namen im Kontext“ unter einer sozioonomastischen bzw. soziopragmatischen Perspektive in den Blick nehmen. Der Kontextbegriff ist also ein bewusst weiter, der neben den klassischen pragmatischen (d.h. sprachlichen, situativen u. Wissens-) Kontexten auch dynamische soziolinguistische Kontextkonzeptionen einschließt. Beispielsweise kann die Verwendung eines Namens einen lexikalischen Kontextualisierungshinweis darstellen, durch den der Kontext aktiv bearbeitet wird. Gegenstand der Tagung ist somit der Namengebrauch in unterschiedlichen pragmatischen oder soziolinguistischen Kontexten.

Willkommen sind dabei gegenwartsbezogene wie historische Vortragsthemen, und zwar zu allen Namenklassen. Der Gebrauch von Personennamen im Alltag lässt sich mit Rolker (2014: 12, 31) als eine soziale Praxis auffassen, die eine Reihe von konkreten Namenspraktiken umfasst, „alltägliche Akte des Nennens“, durch die das Individuum seinen Platz innerhalb der Gesellschaft findet. Doch auch Toponyme und andere Namenklassen werden zunehmend Gegenstand sozioonomastischer Untersuchungen. Dabei lassen sich konkret folgende fünf Themenkomplexe als für die geplante Tagung zentrale benennen, die den Gegenstandsbereich freilich nicht vollständig abdecken und zudem vielfältige Überschneidungen aufweisen:

(1) Epistemische Grundlagen des Namengebrauchs, d.h. onymische Kompetenzen und Einstellungen: Wissen und Positionierungen bzgl. Sprachgebrauchsformen spielen in der Sozioonomastik eine wichtige Rolle. Die Frage, welche Namen von wem gekannt werden (z.B. in Bezug auf Minderheiten), welche Einstellungen und Wissensansprüche damit verbunden sind bzw. konstruiert werden und in welche Sprachideologien sie eingehen, hat Relevanz für die metapragmatische Soziolinguistik wie für die Sozioonomastik (z.B. Nübling et al. 2015: Kap. 7.3.4 zu Stigmatisierung u. Namenpolemik).

(2) Namenvariation und Mehrnamigkeit: Natürliche Sprachen lassen sich als Varietätenräume auffassen, bei denen ein Ausdruck hinsichtlich einer Vielzahl von Dimensionen markiert sein kann, d.h. diatopisch, diamedial, diastratisch, diatechnisch etc. variiert. Dies gilt im Prinzip auch für Namen, deren z.B. graphematische oder morphologische Varianten räumlich distribuiert sind, aber auch mit Variablen wie Geschlecht, Alter, Textsorte etc. korrelieren können. Zusätzlich ergeben sich durch die verschiedenen Formen von Mehrnamigkeit (Allonymie, Polyonymie) auf der Mikro-Ebene einzelner Referenten individuelle Namenvarianten, die ebenfalls diasystematisch markiert sein können. Mehrnamigkeit tritt dabei intralingual auf, z.B. im Gebrauch offizieller vs. inoffizieller Namen, aber auch interlingual (Endonyme vs. Exonyme).

(3) Namen und Identität: Als Identitätsmarker spielen Namen eine zentrale Rolle bei der Konstruktion von persönlichen, sozialen und kulturellen Identitäten. Sie leisten einen Beitrag dazu, wie wir uns selbst und unsere Lebenswelt wahrnehmen, und sind Grundlage sozialer Kategorisierungen durch andere. Diese Prozesse erweisen sich als äußerst variabel: Namen dienen beispielsweise der Konstruktion neuer Identitäten (z.B. in der digitalen Kommunikation); Stigmatisierungen oder Identitätstransformationen können einen Namenwechsel erforderlich machen. Der Themenkomplex ist dabei kein exklusiv anthroponomastischer. So erscheint etwa die Wahl bestimmter toponymischer Varianten sozioonomastisch bedeutsam, da die place identity eine wichtige Komponente der Identität von Individuen und Gruppen darstellen kann. Und auch andere Namenklassen können sich unter dem Identitätsaspekt als relevant erweisen.

(4) Namen und Mehrsprachigkeit: Während die Kontaktonomastik traditionell onymische Aspekte von Sprachkontakt untersucht, spielen Namen in der Mehrsprachigkeitsforschung bislang nur selten eine tragende Rolle: Sie gelten beispielsweise als typische Triggerwörter für Codeswitching; augenfällig wird ihre Relevanz für Fragen gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit im Zusammenhang mit Linguistic Landscapes, wo Toponyme, Warennamen etc. der Konstituierung urbaner Sprachlandschaften dienen. Aus sozioonomastischer Perspektive stellen Namen in mehrsprachigen Kontexten ein lohnendes Forschungsfeld dar: Wie funktioniert z.B. der Namengebrauch in mehrsprachigen Sprechergruppen (Familien, Kommunen, Regionen, Gesellschaften), etwa bei Diglossie, in Grenzregionen oder in okkupierten Gebieten? Inwiefern kommen dabei gesellschaftliche Machtverhältnisse und ideologische Sprachregime zum Ausdruck?

(5) Namen in der Interaktion: Disziplinär stellt die Interaktionale Onomastik kein sozioonomastisches, sondern ein eigenes Forschungsfeld dar, das über seine ethnomethodologischen Ursprünge zwar indirekt in der Soziologie wurzelt, mit Konversationsanalyse und Interaktionaler Linguistik aber längst spezifische Referenzdisziplinen besitzt. Aufgrund der besonderen Kontextbezogenheit der Interaktionalen Onomastik, die z.B. die Funktion von onymischen Einheiten im Anredeverhalten in sequenziellen interaktionalen Kontexten analysiert, sind entsprechende Themen bei der Tagung ebenfalls willkommen.

Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch. Bitte reichen Sie Ihr Abstract (max. 300 Wörter exklusive Referenzen) bis zum 15. Oktober 2024 an Uppsala2025@gmx.net ein. Die Auswahl der Beiträge erfolgt zeitnah. Wir freuen uns auf Ihre Beiträge und auf eine vielfältige Tagung!